Der Gottesdienstraum der Kirche ist ein friedlicher Platz. Boris steht am Fenster und schaut nach draußen auf den Hof. Er sonnt sich. Anton dreht die Rädchen seines Spielzeugautos. Sascha singt – wie immer wenn er entspannt ist – ein Kinderlied vor sich hin. Ruslan kommt mir entgegen und gibt mir die Hand. Auch sonst werde ich freundlich aufgenommen, werde schnell Teil der Gruppe, die hier ihre gemeinsame Mittagsruhe verbringt und darf nach einiger Zeit mitspielen. – Nicht beim Schach, das zwei der Betreuer spielen, sondern mit den Jungs. Spielen, der damit verbundene Austausch und (Körper)kontakt, das ist das, was wir gemeinsam tun können; eine gemeinsame Sprache steht uns ja nicht zu Verfügung- oder: das ist unsere gemeinsame Sprache.
Gestern Mittag habe ich Sara kennengelernt.
Sie kommt für zwei Monate aus den USA um zu helfen, wird in den nächsten Tagen
Vlads Alltagsbegleiterin und Übersetzerin sein, wenn er in Kaufbeuren in eine
betreute Werkstätte gehen wird. – Er kann ja englisch, auch wenn ich nur die
Hälfte seiner begeisterten Erzählungen verstehe, mit denen er mir erläutert,
was er in den vergangenen Tagen im Werkraum der Kirche produziert hat. (Ein
Brettchen mit einem mit dem Lötkolben ins Holz gebrannten Selbstporträt berührt
mich deutlich mehr als der genauso entstandene Rennwagen, den er mir immer
wieder zeigt.) – Sara hat bis vor 2 Jahren ungefähr für Mission to Ukraine
gearbeitet, hat sich einen langen Urlaub genommen und möchte sich jetzt wieder
für die Ukraine engagieren.
Und dann ist da, neben all den
ukrainischen Helfern, Alltagsbegleitern und jungen Leuten, die einfach mit zur
Familie gehören, noch Daianna. (Deren Name wie alle anderen hier mit Vorbehalt
zu lesen ist. – Dort trägt niemand Namensschilder und eigentlich war ich ja
nicht als Journalist, sondern einfach nur als Besucher da.) Sie war gestern –
und ist das regelmäßig - als eine Art Vertreterin der Kirche da, verbringt Zeit
mit den Menschen, unterstützt, wo man sie brauchen kann, bildet eine der
Brücken in den deutschen Alltag der Umgebung. Sie ist nicht die Einzige, die
das macht – aber ich sag jetzt einfach mal: Sie macht es besonders gut.
Komplett unausgebildet für jegliche soziale Arbeit, tut sie genau diese. Sie folgt
ihrem Gefühl für das Richtige und Notwendige, ist einfach da, genießt den
Moment und hat schon angefangen, ukrainisch zu lernen um immer mehr in Kontakt
gehen zu können. – Ja, sie ist nicht die Einzige aber es sollte dort einfach
mehr von ihr geben.
Denn (und das ist eine der Kehrseiten
dieses friedlichen Beisammenseins): trotz aller inzwischen ordentlich
strukturierten Gemütlichkeit ist der Alltag anstrengend. – Dass ich alles, was
dort an einem Samstagmittag abgeht beschreiben kann, dass ich den Wochenplan
kenne, weiß wann wer wen betreut oder duscht oder wann welcher Ausflug geplant,
wann Spielenachmittag und wann Unterricht ist…
all das ist nur möglich, weil es keine wirklichen Rückzugsräume gibt.
Der Gottesdienstraum ist das gemeinsame Wohn- Arbeits, und Spielzimmer. Solange
das Wetter so bleibt gibt es noch den Raum um die Kirche, aber wirklicher
Rückzug ist in dieser Community nicht möglich.
So kann man leben. Aber es verursacht
auch eine Menge Stress. Man kann im Matratzenlager schlafen, aber so ein
Bisschen mehr Privatheit wäre sicher irgendwann schön. – Und: zu 30st eine (!)
Dusche zu teilen, eine Dusche, in der regelmäßig auch die Jungs sauber gemacht
werden müssen… …das will nicht wirklich
jemand.
Ja, die Wideawakefamily ist in
Sicherheit, es läuft gut und ein kleines Stückchen Normalität hat in ihrer ‚Flüchtlingsunterkunft‘
angefangen, den Alltag zu bestimmen. – Aber es ist nicht einfach nur leicht und
es gibt noch viel zu tun. Da ist nicht nur die Suche nach einer etwas
geeignteren Unterkunft; noch nicht einmal die Krankenversicherungskarten sind
da und wenn jemand vor Zahnschmerzen nicht mehr schlafen kann – wie dieser Tage
geschehen – muss man, ohne die örtlichen Gegebenheiten wirklich zu kennen, ohne
Sprache und ohne Versicherungskarte einen Weg in unser Gesundheitssystem finden.
Das ist nur ein Beispiel der vielen Dinge, die gerade auch Kim beschäftigen, so
sehr beschäftigen, dass die Öffentlichkeitsarbeit von Wideawake im Moment
weitgehend ruht. (Es gibt gerade keine neuen Videos :(: Nach einem 15 Stundentag
als Chefin, Krankenschwester und teilweise auch Köchin, Aufgabenbetreuerin und
nebenher auch noch Mama dieser Veranstaltung, stellt sie fest, dass sie nicht
mehr wirklich die Kraft hat, über all das zu schreiben oder zu sprechen, die
vielen kleinen Entscheidungen zu treffen, die so große Auswirkungen haben
können, wenn man Öffentlichkeitsarbeit macht: Was genau soll ich erzählen – und
in welchem Tonfall? – Oder stell ich mich lieber doch an der spätabendlichen Schlange
vor der Dusche an?
Hier steckt auch einer der Gründe
dafür, warum Jed noch da ist. Es ist einfach zu viel zu tun. Seine Familie
braucht ihn. – Auch wenn die Sorge um den Teil der Familie, der in Shytomir
die Arbeit vor Ort weiter macht, die Bedürftigkeit dort, alles was dort zu tun
wäre, nach ihm zu rufen scheint. Es steht jeden Tag die Frage im Raum, wie
lange funktioniert Wideawake in Shytomir? Dort wird inzwischen ein
Flüchtlingsstützpunkt und eine Hilfsgüterverteilungszentrale betrieben. (Und der Ausbau, dieser Hilfe vor Ort
ist geplant - doch davon erzähle ich ein anderes Mal.) Doch
wie lange geht das gut ohne persönliches Management vor Ort? Wieviel Umbau,
Veränderung und Stress kann man am Telefon steuern und begleiten? Wann
zerbricht diese Arbeit, wann machen sich auch noch die zurück gebliebenen auf
den Weg nach Westen, wenn man nicht nachschaut, Präsenz zeigt, versteht, was
die eigentlichen Herausforderungen sind und die wesentlichen Entscheidungen in
all diesen Veränderungen vor Ort mit begleitet? Irgendwann wird das so sehr
ziehen, dass Jed mit einer kleinen Karawane mit Hilfsgütern losziehen wird;
vielleicht nächsten Freitag.
Ein großer Transport ist schon
unterwegs (siehe die Berichterstattung
von Humedika – dort kann man auch nachlesen bzw. -sehen, was sie an
Nahrung, Hygieneartikeln und Alltagsgegenständen zusammengepackt haben) Aber –
und das ist zum Schluss meines Berichts noch eine persönliche Mitteilung zum
Thema ‚Verwendung eurer Spendengelder‘: Im kleinen Transport der kommenden Woche
befindet sich auch ein (gebraucht
und bei ebay gekauftes) Lastenfahrrad, das dann vielleicht schon
in zwei Wochen die Hilfsgüter zu den Menschen in den Dörfern um Shytomir bringt,
das da, wo Benzin gerade unendlich knapp und die Wege trotzdem weit sind, als
Transportmittel all der wichtigen Dinge dienen kann, die im Krieg eben nicht
mehr einfach nur im Laden zu kaufen sind.
Und da, wo es hinkommt wird es auch erzählen wer diese Unterstützung bringt: Ich habe es gestern großzügig mit eigens dafür fabrizierten Aufklebern dekoriert, denn auch dort gilt: Es genügt manchmal nicht, einfach nur Gutes zu tun. Immer wieder muss man auch darüber reden und so andere ermutigen, doch mitzumachen.
BeLove[d]
und: Link zur Gemeindehomepage (mit Spendenkonto :)