Mein Tag hat heute damit angefangen, das neueste Video von Wideawake zu sehen. (vgl. das aktuelle Video auf Youtube.com) Dort sieht man wenig Text, sondern einfach nur Szenen aus dem Alltag. Ich sehe Boris wie er aus dem Fenster eines Reisebusses schaut: konzentriert, ausdauernd und total interessiert und ich sehe Boris in seinem provisorischen Zuhause in Kaufbeuren in der Kirche.
Ja, Boris ist wieder mal in Deutschland. Aber dieses Mal als Flüchtling. Ich erinnere mich an den Boris, den ich vor sechs Jahren kennengelernt habe. Er war auch damals schon über 20 aber noch lange nicht in der Pubertät. Er ist auch heute noch klein und schmal, sieht aber aus wie ein junger Mann. Was er damals schon hatte, ist diese enorme innere Ruhe, eine distanzierte Zugewandtheit, die, einmal überwunden, eine stille Freundlichkeit offenbart, die eine Begegnung zur Bereicherung macht. – Aber das auch ‚dosiert‘. Boris ist alles andere als distanzlos.
Damals in Romaniv im Kinderheim hat Jed immer für ihn
Gitarre gespielt. (Vgl. auch wieder ein – inzwischen altes aber immer noch
schönes Video auf youtube.com) Musik
führte dazu, dass Boris aufgehört hat sich zu schlagen und von seinen Nannys nicht
mehr angebunden werden musste. Als Boris das Kinderheim dann verlassen durfte –
als erster ukrainischer junger Mann aus der staatlichen Fürsorge entlassen
wurde, obwohl der das adoptionsfähige Alter schon mehr als 10 Jahre hinter sich
gelassen hatte - …als er dann eine neue Heimat fand, einen Platz mit viel
Musik, regelmäßigem Windelwechsel, einen Platz, an dem es immer genug zu essen
gab und Kinder die mit ihm spielen wollten und einen Platz, n dem er
stundenlang in der Badewannen planschen durfte, ja auch dann hat es noch Jahre
gebraucht bis er aufgehört hat, sich selbst zu verletzen.
Als ich 2016 dort in Romaniv war, hat mich einmal eine Nanny
gefragt, warum denn die Kinder sich immer selbst wehtun: den Kopf gegen die
Wand oder sich die eigenen Fäuste ins Gesicht schlagen. Ich hab mir viel Zeit
genommen, ihr zu erklären, wie ich dieses Verhalten verstehe. Sie hat mich trotz
Übersetzung nicht verstanden. „Stress?“, war ihre Gegenfrage, „die Kinder habe
es warm und zu essen. Warum sollten sie Stress haben?“ Aus ihrer Sicht waren
diese Kinder privilegiert, weil sie, ohne jemals arbeiten zu müssen, einfach
versorgt wurden. Dass Menschen – zumal Kinder – mehr brauchen als Essen,
Kleidung und ein Dach über dem Kopf: Darüber hatte sie sich offenbar noch nie
wirklich Gedanken gemacht.
Meine Gedanken in den Jahren dazwischen gingen in Richtung
Rollstuhl- oder auch sonstige orthopädische Versorgung. Boris hat uns in diesem
Zusammenhang auch mal besucht. – Und es war auch damals schon etwas ganz
Besonderes, ihn in unserer Badewanne sitzen zu haben. Ihn so ganz anders
zu erleben als bei sich zuhause oder gar in Romaniv damals im Kinderheim. In
letzter Zeit dachte ich, wie letzte Woche geschrieben, an ein Lastenfahrrad,
ein „Bike for Boris“.
Um Boris - und nicht nur ihm - ein Zuhause zu geben, dafür sind
Kim und Jed damals in die Ukraine gegangen. Jetzt sehe ich sie wieder, sehe, wieviel
Menschen sie bereits mit ihrer Idee angesteckt haben, ich sehe im Video, was
sie tun und wie sie es tun. Und es berührt mich.
Das wollte ich mit Euch teilen.
Matthias
(Die ganze Geschichte von wideawake gibt’s auf der Webside https://wideawakeinternational.org und einen Hinweis auf unser Spendenkonto bei der Evangelisch methodistischen Gemeinde in Entringen ganz am Ende der Seite.)
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