Kontinuierliche Infos aus der Ukraine gibt es bei wideawakefamily.com im Blog von Kim - direkt aus Zytomir

Dienstag, 15. März 2022

...damit mein Briefarchiv vollständig bleibt: "FLÜCHTLINGE"

 Hallo Ihr Lieben,

weil ich in der Quarantäne gerade zuhause sitze, habe ich Zeit, mal einen ganz anderen Brief "zu schreiben".

Ich hab (anstatt nur immer zu empfehlen, wie lesenswert ist, was sie schreibt) einfach mal übersetzt, was Kim vor einer Stunde auf ihrer Website veröffentlicht hat

Liebe Grüße

Matthias

 


Flüchtlinge

Von Kim Johnson, https://www.wideawakefamily.com

Heute schreibe ich von einer Kirche in Kaufbeuren, Deutschland. Wir sind im kleinen Spielzimmer und Evie spielt mit einer Tasche von Spielzeug, das wir von zuhause mitgebracht haben. Wenn man aus dem Krieg flieht ist es dringend zu empfehlen, eine Tasche voller Barbies mitzunehmen …

Letzten Samstag, am 05. März haben wir den unvorstellbaren Entschluss getroffen, unser Heim zu verlassen – ohne zu wissen, wann wir wieder zurückkommen würden. Die Bombardements in unserer Stadt wurden regelmäßiger und es wurde immer klarer, dass die Russen auch einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung führen. In der Ukraine ist es im Moment nirgendwo sicher. Wir haben wirklich mit dem Entschluss gerungen und waren eigentlich entschlossen gewesen uns zuhause zu verstecken und es auszusitzen aber die nächtlichen niedrigfliegenden Flugzeuge, die Luftschläge, die das Hauserschütterten und jedes Mal den Autoalarm losgehen ließen, haben dazu geführt, dass wir unsere Pläne noch einmal überdacht haben. Wir sind für einige der verwundbarsten Menschen der Ukraine verantwortlich und unsere Jungs können uns noch nicht einmal erzählen, wie sich angesichts des Krieges fühlen. Tatsächlich können sie unsere Anspannung fühlen, können die Angst in unseren Gesichtern sehen, aber wirklich verstehen können sie nicht. Und sie konnten uns nicht danach fragen, sie bitte in Sicherheit zu bringen, deswegen mussten wir für sie entscheiden. Ich sage euch, nie in einer Million Jahren hätte ich mir vorstellen können, im Flur unseres Hauses zusammengeduckt mit meinen Kindern zu sitzen, während das ganze Haus von Explosionen in einiger Entfernung erschüttert wird. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass Jed und ich damit ringen, dass es zu spät sein könnte, mit unseren Kindern sicher da rauszukommen wenn die Kämpfe noch näher kommen. Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass wir fliehen würden aus dem Heim, das wir mit so viel harter Arbeit zu einem sicheren Hafen für jeden, der zu uns kam, ausgebaut haben. Aber: hier sind wir jetzt eine Woche später, Flüchtlinge in einem Land, in dem wir die Sprache nicht verstehen und keinen Plan haben, wie es weitergehen soll. Es ist für alle unvorstellbar.

Es sind 36 von uns jetzt hier in Deutschland. Zur Gruppe gehören 10 Menschen mit Behinderung und 14 sind Teens oder Kinder. Der Rest sind Team- und Familienmitglieder unseres Teams. Alle leben wir zusammen in einer Kirche, die uns mit offenen Armen aufgenommen und uns unglaubliche Liebe und Großzügigkeit gezeigt hat. Ich wüsste nicht, wo wir ohne sie wären. Sie haben unsere Evakuierung ermöglicht, weil wir wussten, dass es einen sicheren Ankunftsplatz gibt. Wir werden ihnen immer dankbar sein.

Zuhause in der Ukraine ist der Rest unseres Teams damit beschäftigt, unsere Heimat zu bewahren, aufeinander Acht zu geben und in Zusammenarbeit mit Stadt und Dorfrat humanitäre Hilfsgüter in unserer Region zu verteilen. Außerdem gibt es 3 Mamas mit erwachsenen Kindern mit Behinderung, die zu unserer Wideawakefamily dazu gehören und im Haus wohnen. Ich bin so stolz auf unser Team: hier und dort in der Ukraine. Die Arbeit, die sie tun ist wichtig und notwendig.

Früher als wir in den USA gelebt haben habe ich viele Flüchtlinge getroffen. Ich denk mal, ich war freundlich zu ihnen, aber, um ehrlich zu sein, all zu viel über sie nachgedacht habe ich nicht. Ich denke mal, ich habe einfach angenommen, dass sie glücklich und dankbar sind, in den Staaten sein zu dürfen. Ich wusste, sie brauchen anfangs Unterstützung dabei, ihre körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen – aber ihr gefühlsmäßiges Befinden hatte ich nicht wirklich auf dem Schirm. Ich hatte keine Ahnung, wie emotional zerstörerisch es ist, Flüchtling zu sein. Noch nie in meinem Leben habe ich solche Traurigkeit erlebt. Keine Ahnung, wie ich es sonst beschreiben soll, außer: Ich bin tief, tief traurig, vernichtet von diesem Verlust und sogar unsicher wie ich anfangen soll zu trauern oder weitermachen. Ich hänge fest in meiner Traurigkeit, das verloren zu haben, was war. Ja, ich gräme mich um die Sachen, unser Haus, das Doppelhaus, unsere Hunde – aber noch mehr gräme ich mich um den Verlust unseres Alltags, der niemals mehr der gleiche sein wird. Ich erinnere mich an die Nacht bevor wir gegangen sind, ich saß auf der Couch mit meiner Hava und sie weinte. Sie sagte: „Mir wird gerade klar, dass unser Leben niemals wieder so sein wird, wie es einmal war.“ Gerade als sie dieses Satz beendet hatte wurde unser Haus von einer Explosion in der Ferne erschüttert. Ja, wir waren tatsächlich in eine neue Realität hinübergewechselt: Ein Davor und ein Danach. Grade noch haben wir wieder einmal einen Geburtstag im Doppelhaus gefeiert mit unserer Wideawakefamily, die Kinder waren dabei, sich auf den Weg zu machen zu ihrer Jugendgruppe, wir haben abendliche Hausarbeiten gemacht, haben Evie in der Vorschule abgesetzt, die sie so sehr mochte, Lebensmittel eingekauft und Individualschulungen für unsere Jungs geplant – und eine Woche später sehen wir, wie der Himmel aufleuchtet und Gebäude in unserer Stadt von russischen Raketen zerstört werden. In ganz kurzer Zeit sind wir von der Planung der Bespaßung unserer Jungs zur Planung der Evakuierung von 36 Menschen über die Grenze gewechselt. Das fühlt sich immer noch nicht real an.

Flüchtling sein bedeutet, alle Hoffnung und Träume zu pausieren und nicht zu wissen wann oder ob überhaupt du sie wieder aufgreifen kannst. Flüchtling sein bedeutet, sich voll und ganz auf Freundlichkeit und Großzügigkeit anderer zu verlassen. Flüchtling sein bedeutet Verlust, Trauer und Schmerz. Da ist Erleichterung, dass deine Kinder sicher sind, aber auch Schuld, dass du so viele zurück gelassen hast. Es heißt, damit zu Recht kommen zu müssen, dass niemand dich verstehen wird, weil du dich selbst ja nicht einmal verstehst. Es heißt, sich bewusst zu werden, dass deine Kirche über einen ganzen Kontinent verteilt wurde, nicht zu wissen, wo der Einzelne ist, wann du jemals wieder an einem Platz zusammenkommst – oder ob überhaupt. Flüchtling zu sein bedeutet, den Kindern immer wieder zu versichern, dass alles gut wird, auch wenn du weißt, dass du ihnen das gar nicht versprechen kannst. Das Leben hat dir schon gezeigt, dass nicht alle gut ist – und für lange Zeit nicht mehr gut sein wird. Wir hatten etwas so Wunderbares und jetzt ist es verloren. Jetzt versuchen wir, das wieder zu erschaffen, hier an einem neuen Platz. Wir tun das für unsere Jungs, für unsere Kinder. Wir gehen zu Picknicks, kochen Eintopf und spielen Spiele. Wir umarmen uns, beruhigen und trösten uns. Wir versuchen zu leben, nicht nur zu existieren, nicht nur darauf zu warten, dass wir endlich wieder nach Hause können. Genau darin liegt unser Kampf.

Aber: Wir glauben, dass wir wieder nach Hause kommen. Wir glauben, dass die Ukraine siegreich sein kann. Wir glauben, dass das Licht die Dunkelheit besiegt, das Gute das Böse überwindet. Wir glauben, dass unsere Soldaten die tapfersten und stärksten sind. Wir glauben, dass unser Präsident der bestes ist, den es je gab oder geben könnte. Und wir glauben daran, dass die Arbeit, die Gott in der Ukraine begonnen hat, weitergeht. Deswegen haben wir Hoffnung.

Danke, dass ihr uns liebt, für uns betet, spendet und zu uns Kontakt aufnehmt und Hilfe anbietet. Bitte erinnert euch an die Ukraine. Betet für den Sieg und dass er bald kommt.

BeLOVE[d]

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